ZARMINA's GESCHICHTE

The Mirror
, 19. Juni 2002
Von: Anton Antonowicz in Kabul

MILLIONEN Menschen haben diese Frau sterben sehen. Aber niemand hat ihr Gesicht gesehen.

A Taliban gunman shot Zarmeena three times.
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Lediglich eine Handvoll Menschen kennen die wahre Geschichte, die dazu geführt hat, dass die 35-jaehrige Zarmina im Fußballstadion von Kabul in Afghanistan hingerichtet wurde.

Die Bilder, die diese Mutter von fünf Kindern zeigte, wie sie , die in einem Toyota zu ihrer Hinrichtung gefahren wurde, weil sie ihren Mann getötet hatte, entsetzten die Welt.

Diese unbekannte Frau wurde vor 30.000 Zuschauern über den Fußballplatz gezerrt und gezwungen, vor den Torpfosten niederzuknien, bis der hochgewachsene, dürre Taliban ihr das Gehirn aus dem Kopf geschossen hat.

Die Szene wurde von den tapferen Frauen von RAWA, der Revolutionären Vereinigung der Frauen Afghanistans, mit einer versteckten Videokamera aufgenommen und nach Pakistan geschmuggelt.

Später wurde diese Szene der Anfang des Films "Unter dem Schleier", der preisgekrönten Dokumentation des englischen Fernsehsenders BBC4 über das Leben in Afghanistan unter den fanatischen Taliban.

Das schwarze Herz Afghanistans

Die heimlichen Bilder von Zarminas Tod auf einem Video schlechter Qualität haben die schlimme Brutalität des Lebens unter dem Schleier gezeigt - und entsetzten die Welt.

Seit die Taliban- Fundamentalisten im Jahre 1996 an die Macht gelangten, gab es viele Berichte über die Erniedrigungen und Rechtsbrüche, denen Frauen ausgesetzt waren.

Berichte über das Verbot hoher Absätze, über das Verbot, die Schritte von Frauen, die Männer erregten, erschienen zu bizarr.

Aber unsere Führer behaupteten, dass die Taliban eine Art von Stabilität in ein Land gebracht hatten, dass sich seit 20 Jahren im Krieg befand. Zarminas Hinrichtung jedoch - in der BBC-Produktion „Hinter dem Schleier“ ausgestrahlt - enthüllte diese Behauptung als hohle Lüge. Das war Barbarei. Das war die unmenschliche Behandlung der Frauen durch die Männer.

Als RAWA, die Revolutionäre Vereinigung der Frauen Afghanistans, eine Kamera in das Fußballstadium von Kabul geschmuggelt hatten, war es ihre Absicht, die Brutalität und Perversion der Taliban zu enthüllen. Zarminas Tod wurde von diesen Fanatikern verursacht, von Männern, die kaum lesen können, aus dörflichen Religionsschulen, aus heiligen Schulen, die außer der härtesten Version des Islams nichts kannten, alles wurde so interpretiert, dass in ihr Weltbild passte.

Fünf Jahre lang hat RAWA die Taliban heimlich bekämpft, heimliche Schulen für Mädchen, heimliche Schönheitssalons, ein heimliches Leben für Tausende Frauen.

Das war so bis zum 11. September, als Afghanistan und die Taliban auf die Bühne der Weltöffentlichkeit gestoßen wurden.

Und da, auf einem Video, waren die letzten Momente einer Mutter, die ihrem Tod entgegenging - ein Bild wie eine Ikone, das wenigstens dafür sorgen wuerde, dass die Welt die gerechte Aufmerksamkeit schenkt.


The Mirror (UK), 19. Juni 2002

Hier sah man die Wahrheit über das Leben in einem Land, das seit 23 Jahren vom Krieg zerrissen wurde und das trotzdem bis zu diesem Tag größtenteils ignoriert wurde.

Als der Mirror im Juni letzten Jahres erstmalig die Fotos von Zarminas Hinrichtung veröffentlichte, wurden wir von Leserbriefen und Anrufen überschwemmt.

Wenige Menschen wussten etwas über das Leben in einem Regime, das 1996 an die Macht kam. Aber seit dem 11. September ist das anders!

Aber eine einfache Frage blieb unbeantwortet. Eine Frage, die mich von dem Moment and, als ich im letzten Frühling erstmals das Filmmaterial sah, verfolgt hat.

Wenn es stimmt, dass Zarmina ihren Mann getötet hatte, aus welcher Verzweiflung heraus geschah das, wusste sie doch über die Brutalität der Taliban, die letztendlich zu ihrem Tode führen wuerde?

Und was sagt uns das über das Leben der Frauen unter den fanatischen Taliban?

Das waren die Fragen, die mich nach Afghanistan geführt haben. Zu einem heimlichen Treffen. In ein verschmutztes Gefängnis. Auf einen Friedhof. In Häuser, wo mir die Tür vor der Nase zugeschlagen wurde. Wo Männer mit Gewehren mir gedroht haben, mich zu töten, wenn ich weiterhin Fragen stelle.

ENDLICH, am letzten Freitag, kam ein dünner Luftpostbrief mit einem Poststempel vom 6. April bei mir an.

Er enthielt drei Seiten Notizen, mit grünem Kugelschreiber geschrieben, auf Papier, das aus einem Schulheft herausgerissen worden war, und es wurden Einzelheiten bestätigt, die ich und mein Kollege Tom Newton Dunn während zweier verschiedener Einsätze in Afghanistan herausgefunden hatten.

Der Brief enthielt auch ein kleines Foto, ein Foto so groß wie ein Daumennagel, aus einer Polizeiakte - das Gesicht von Zarmina, der Frau hinter dem Schleier.

Der Brief kam von einem jungen "Mittelsmann", den ich in Kabul angeheuert hatte. Er bezog sich auf ein Treffen, das ich mit einer Polizistin arrangiert hatte, die mir versprochen hatte, dass sie irgendwie dafür sorgen wuerde, dass Zaminas wahre Geschichte ans Licht kommt. Rana Sayeed arbeitet im Polizei-Hauptquartier in Kabul. Es war purer Zufall, dass wir ihr zum erstenmal begegnet sind, an einem verregneten Tag Ende Februar, als sie im Eingang des Frauengefängnisses stand.

Rana, eine Mutter Ende Vierzig, sah anders aus als die meisten afghanischen Frauen. Sie trug keine Burqa. Ihr Verhalten war selbstsicher und stimmgewaltig.

Sie erzählte von ihrer Ausbildung zur Polizistin und wie sie von der früheren afghanischen Marionettenregierung der Sowjetunion nach Russland geschickt worden war.

Rana sagte, sie sei ungefähr seit 20 Jahren Polizeioffizier. "Sogar die Taliban brauchten einige Frauen, um das Gesetz umzusetzen ", sagte sie, und schüttelte ihren gesenkten Kopf. "Sogar die Taliban....."

Sie geleitete uns über den lehmbedeckten Hof in das Erdgeschoss des Polizei-Hauptquartiers.

Sie bat uns zu warten, bis ihr Vorgesetzter ihr die Erlaubnis geben wuerde, mit uns zu sprechen. Als der neu eingesetzte Polizeichef Kabuls ihr letztendlich sagte, sie solle uns in jeder erdenklichen Weise behilflich sein, begann sie:

"Endlich kann Zarminas Geschichte erzählt werden," sagte sie. "Es ist die Geschichte einer einzigen Frau. Aber es ist auch die Geschichte aller afghanischen Frauen unter den Taliban, unter diesen Unmenschen, die unser Land zu einem Käfig gemacht haben und unsere Frauen zu Hunden degradierten".

"Als sie Zarmina hierher brachten, dachte ich, sie wuerde sterben. Sie haben sie zwei Tage lang mit Metallkabeln geschlagen, bis sie gestanden hat".

"Aber sie war hart im Nehmen. Als sie auf dem Fußboden der Zelle lag, zeigte sie auf ihre einjährigen Zwillinge - das Mädchen Silsila und den Jungen Jawad - und sagte sie wuerde um ihr Leben kämpfen, um ihr Leben als die Mutter dieser Babies."

"Sie hatte noch andere Kinder. Zarmina hatte einen elfjährigen Sohn Harwad und zwei wunderschöne Töchter, Shaista, 14, und Najiba, erst 16 Jahre alt."

"Die Liebe zu ihren Kindern hat sie zu dem getrieben, was sie getan hat. Die Tragödie ist, dass dadurch das Leben ihrer Kinder tausendfach schlimmer geworden ist".

Zarmina, die aus Nord-Kabul kommt, wurde mit 16 Jahren verheiratet. Es war eine arrangierte Ehe, aber sie entwickelte sich zu einer Liebesbeziehung.

Sie war eine attraktive, lebhafte Frau. Ihr paschtunischer Mann, Alauddin Khawazak, aus dem Dorf Paghman eine Stunde Fahrt entfernt, war ein Polizist, dem auch ein kleiner Laden gehörte.

Es war eine Heirat, die selbst angesichts des Krieges zu blühen schien, und die zunächst auch die Gewalt in Kabul zu überleben schien.

Aber fast unmerklich, unvermeidlich beinahe, fiel die Beziehung auseinander. Das unersättliche Blutvergießen verwandelte alle Menschen. Und es zerstörte Zarminas Mann.

Die Bombardierungen, die Massenvergewaltigungen, die Morde brutalisierten Khawazaks Seele, infizierten sie mit einem heimtückischen Gift.

EIN NACHBAR berichtete mir: "Er war ein sanfter Mann, aber langsam verwandelte er sich in ein Ungeheuer. Vielleicht hatte er durch seinen Beruf, er war ja Polizist, zu viele Dinge gesehen."

"Er hatte Wutanfälle. Er wurde gewalttätig. Er war wahnsinnig vor Eifersucht, überzeugt davon, dass Zarmina sich mit anderen Männern traf. Das war Quatsch. Aber sein Kopf war verwirrt."

Als die Taliban im September 1996 die Kontrolle über Kabul übernahmen, gaben sie Khawazak sozusagen eine Lizenz für seinen Wahnsinn.

Für diese fundamentalistischen "Studenten" aus dem Süden war Kabul ein Spielplatz Satans. Ein Platz, wo Frauen Miniröcke tragen durften und Gymnasien und Universitäten besuchen konnten. Eine Welt der Sünde.

Im Afghanistan der Taliban hatten Frauen keine Rechte. Sie existierten lediglich, um zu gehorchen.

Sie waren Gebärmaschinen, nur dazu da, Kinder in die Welt zu setzen, zu kochen und ihre Männer zu befriedigen. Sie wurden ausgepeitscht, wenn sie hohe Absätze trugen, ihnen wurden die Fingerspitzen amputiert, wenn sie Nagellack trugen und für Prostitution wurden sie zu Tode gesteinigt.

Zwei Frauen, denen Ehebruch vorgeworfen wurde, wurden an Kränen erhängt. Ein zehnjähriger Junge bekam ein Gewehr, um den Mörder seines Vaters hinzurichten, und ein siebenjähriges Mädchen wurde ausgepeitscht, weil sie weiße Schuhe trug.

Mädchen durften nicht zur Schule gehen und Blitzjustiz, in einem mittelalterlichen Gewand, war das Glaubensbekenntnis. Gnadenlos in ihrer Durchsetzung der Reinheit, waren sie der perfekte Beweis dafür, dass kein Verbrechen zu grauenvoll ist, um nicht durch religiösen Glauben gerechtfertigt werden zu können.

Khwazaks Stimmung passte zu der neuen Doktrin. Sein Bruder, ein mürrischer und unversöhnlicher Mann, pries den Fundamentalismus der Taliban und beeinflusste das kranke Gehirn seines Bruders.

Rana sagte: "Khawazak schlug seine Frau jede Nacht. Er misshandelte sie und seine ältere Tochter. Ich weiß nicht, ob es zu sexuellem Missbrauch gekommen ist, aber es war so schlimm, dass Zarmina es nicht länger ertragen konnte. Also planten sie und Najeba, ihn umzubringen. Und am Ende taten sie es dann auch."

Der Mord geschah früh an einem Sommermorgen vor fünf Jahren.

Einige sagen, Zarmina hätte ihm Opium ins Essen getan. Rana sagt, sie hätte ihm Schlaftabletten ins Essen gemischt. Als er einschlief, weckte Zarmina ihre Tochter auf.

Rana sagte: "Sie sagte mir, dass sie es in diesem Moment, in diesem letzten Moment, doch nicht tun konnte.

Najeba war es, die den zehnpfundigen Hammer ergriff und ihren Vater mit einem Schlag auf den Kopf tötete."

Rana sagte, "Sie rannten aus dem Haus und schrieen, dass Räuber eingebrochen und Khawazak angegriffen hätten. Sie sagten, die Männer seien wie ‚Schatten in der Nacht' gewesen".

"Einige glaubten ihnen, andere waren sich da nicht so sicher. Zarminas Schwager war der erste, der sie beschuldigte und die Taliban rief.

Der Hammer wurde nie gefunden, aber sie bekamen das Geständnis. Das war das einzige, das zählte."

"Zarmina behauptete, das sie die Mörderin sei. Dass sie alleine gehandelt hätte. Sie hielt die ganze Zeit, in der sie gefoltert wurde, an dieser Version fest. Erst zwei Jahre später, als sie mich gut kannte, gestand sie mir die Wahrheit. Und ich war ganz bestimmt nicht diejenige, das irgendjemandem weiterzuerzählen."

ZARMINA wurde ins Zentralgefängnis gebracht und blieb dort mit ihren Zwillingskindern fast drei Jahre lang eingesperrt.

Manchmal kam ihre Mutter mit Essen. Aber sie verdammte ihre Tochter dafür, Schande über die ganze Familie gebracht zu haben, und sie sagte, sie hasse sie.

Sie sagte Zarmina, dass die anderen Frauen im Gefängnis sie umbringen würden. Aber es waren die anderen Gefangenen, die ihr halfen, sich und ihre Kinder am Leben zu erhalten.

Rana sagte weiter: "Sie haben ihnen Essensreste gegeben. Ich habe ihr ein paar Decken gegeben. Irgendwie hat sie überlebt.

"Sie war eine tapfere Frau und hat verzweifelt gegen ihre Ängste angekämpft. Sie sagte den Taliban, sie sei eine Mutter und das, was sie getan habe, habe sie für ihre Kinder getan."

Rana sagte: "Sie fragte was mit ihren Kindern geschehen sollte, wenn sie keine Mutter hätten? Sie bettelte sie an, sie auszupeitschen und sie dann freizulassen, damit sie sich um ihre geliebten Kinder kümmern könne.

Sie hatte Träume, in denen ihr Mann erschien. Da sagte sie, das sie wüsste, dass sie sterben wuerde."

Zarminas ältere Töchter kamen zu ihrem Schwager, wie es die Tradition war.

Er war ein Taliban und forderte Blutrache; er weigerte sich, Zarmina die Todesstrafe zu ersparen. Dann, zwei Monate vor der Hinrichtung, erzählte er Zarminas Mutter, dass er Najeba und Shaista als Sex-Sklavinnen verkauft hätte.

"Das hat Zarmina fast umgebracht", sagte Rana. "Alles, was sie getan hatte, hatte sie für ihre Kinder getan. Nun hatte es ihre Kinder in eine Hölle gebracht.

Der Schwager sorgte sogar dafür, dass sie den Preis erfuhr: 600.000 Pakistanische Rupien für Najeba und 300.000 für Shaista. Verkauft an einen Mann aus Khost."

Khost, sieben Stunden Fahrt, südlich von Kabul, nahe der pakistanischen Grenze, ist ein Name, mit dem sich einiges verbindet.

Die Stadt war eine Hochburg der Taliban. Das ist der Ort, wo Al Qaeda's größtes Trainingslager war, wo die Tunnels sind, von denen aus Osama bin Laden seinen Heiligen Krieg erklärt hatte, um die Amerikaner und ihre Verbündeten zu töten.

"Zarmina schlug sich, schlug ihren Kopf gegen die Gefängnismauer", sagte Rana. "Natürlich waren ihre Töchter and die Taliban verkauft worden, aber an wen? An Fanatiker? An bin Laden? Sie wusste, sie wuerde sie niemals wiedersehen."

Dann, am 15 November 1999, wurde im Radio verkündet, dass in zwei Tagen eine Hinrichtung stattfinden wuerde.

Zarmina wusste davon nichts. Sie hatte fast drei Jahre im Gefängnis gesessen und es war ihr klar, dass sie bestraft werden wuerde. Aber sie redete sich immer noch ein, dass sie keine Mutter umbringen würden.

SOGAR als die Wachen sie holen kamen, sagte sie, sie erwarte 100 Peitschenhiebe, aber sonst nichts.

Sie zog ihre Kleider unter der Burqa an - zwei lieh sie sich aus - in der Hoffnung, dass sie die Wucht der Schläge mildern würden.

Rana sagte: "Mir wurde befohlen, sie gemeinsam mit zwei weiblichen Polizistinnen zu begleiten.

"Wir kletterten in den Pick-up und beteten zusammen. Ich konnte es nicht ertragen. Bevor der Wagen in das Stadium einfuhr, ging ich.

Und ich sage Ihnen, nachdem, was danach geschah, haben meine beiden Kolleginnen nie wieder arbeiten können. Eine hatte einen Nervenzusammenbruch. Die andere hat heute noch Albträume." Als sich das Publikum im Fußballstadion setzte, beschrieb der Ansager, was passieren wuerde: "Zarmina, Tochter des Ghulam Hasnat, wird für den Hammermord an ihrem Ehemann hingerichtet".

Fälschlicherweise behauptete er, der Mord habe "vor fünf Monaten" stattgefunden. Aber die Wahrheit hätte das Taliban -Glaubensbekenntnis an die Blitzjustiz auch nicht geändert.

In Wirklichkeit war es so, dass ihre Hinrichtung hinausgezögert wurde, bis ein hoher Preis für ihre jungfräulichen Töchter ausgehandelt und bezahlt worden war.

Jetzt übernahm das Video. Zuerst sieht man den Toyota zweimal um den Platz fahren, der Fahrer führte seine Passagiere dem Publikum vor.

Zarmina, auf jeder Seite eine Begleiterin, sieht fast nichts. Auf einer Seite stehen Chirurgen mit OP-Masken, bereit, die Amputationen auszuführen, die vor der "Hauptvorstellung" geschehen werden.

Die nächste Szene zeigt, wie die zwei Frauen Zarmina zum Fußballtor leiten. Ihr wird befohlen, sich hinzusetzen. Zum erstenmal wird die Menschenmenge, Männer, Frauen, Kinder, ruhig. Langsam tritt ein Taliban hervor. Zarmina versucht wegzukriechen. Der erste Schuss wird nicht gezeigt.

Die Hände des Scharfrichters zittern. Die Schreie der Menge, Zarmina zu begnadigen, entnerven ihn. Sie haben gesagt, in der Menschenmenge waren zu viele, die den Tod sehen wollten.

Der erste Schuss streift Zarminas Haar; dieser Schuss machte ihr klar, was sie erwartete. Ihre geliebten Kinder, die für diese "Vorstellung" hierher gebracht wurden, können nur erstarrt dastehen.

"Zarmina schreit. Sie sagt, sie kann nicht sitzen oder knien, ohne umzukippen. "Kann nicht jemand meine Arme halten", bettelt sie.

"Ihr letzter Wunsch wurde nicht erfüllt. Der Mann mit dem Gewehr zielte wieder mit seiner Kalashnikov. Und Zarmina starb durch eine einzige 7.62-mm-Kugel. Der Scharfrichter drehte sich weg, der Blutrache war Genüge getan. Es war Zarminas Schwager. Der Mann, der ihre geliebten Töchter in die Sklaverei verkauft hatte. Der Mann, und dessen ist Rana sich sicher, der nach Pakistan entkommen ist, wie so viele andere. Ein Mann mit Geld in der Tasche.

ZARMINA's Leiche wurde in das Wazir Akbar Khan - Krankenhaus gebracht.

Ihr Körper lag dort, ohne dass jemand ihn beansprucht hätte, 20 Tage lang. Ihre Mutter, Shah Sultan, wies jegliche Verantwortung von sich, sie sagte Rana: "Sie hat Schande über uns gebracht. Sie verdient ihr Schicksal. Sie ist für mich nicht einmal mehr eine Erinnerung".

Zarmina wurde in einem anonymen, unmarkierten Grab beigesetzt, nicht einmal 300 Meter vom Hause ihrer unversöhnlichen Mutter entfernt.

Rana brachte mich zum Friedhof in Khair Khana, im 11. Distrikt von Nord-Kabul. Wahrend ich versuchte, das Grab zu finden, bleib sie im Auto sitzen.

Sie sagte, es sei sicherer so. Die Anwohner könnten etwas dagegen haben, wenn sie in der Begleitung ausländischer Männer gesehen wuerde. Die Totengräber sagten, sie wüssten nichts über eine hingerichtete Frau. Ein Mann zog eine Waffe und sagte zu mir und dem Fotographen Phil Spencer, dass wir hier nichts zu suchen hätten.

Dann kam ein junger Mann, um die 20, mit einem roten Blazer an, auf seinem Fahrrad. "Ich weiß, was ihr sucht" sagte er.

"Jeder weiß hier über Zarmina Bescheid. Die wollen keinen Ärger. Die wollen nicht erinnert werden. Aber sie schämen sich dessen, was dieser Frau und ihren Mädchen geschehen ist."

Die Menschen wissen, wenn Unrecht geschehen ist. Aber es gab fühlbar Angst, dass der Aufruhr sie wieder einmal überwältigen wuerde.

Dass die Taliban in der Nähe seien. Dass sie wiederkommen und sich an allen rächen würden, die ihre Aktionen jetzt in Frage stellen.

Der Radfahrer ignorierte diese Ängste. Er geleitete uns durch den Friedhof. Ein seltsamer, Ort, eine Mondlandschaft. So wenig Farbe. So viel Elend. So viele gerade gestorben. Einfach Tausende, die so jung in einem unablässigen Krieg gestorben sind.

Unser Führer deutete auf einen Erdhügel mit zwei gegenüberstehenden Steinen. Diese Konstellation der Steine deutete darauf hin, dass es sich um das Grab einer Frau handelte.

Aber sonst gab es nichts, woran man hätte erkennen können, wessen Grab es war. Einfach nur der Ärger eines Gewehrträgers und anderer Bewaffneter in der Nähe, die Gesichter der Totengräber, denen das alles peinlich war, und der Radfahrer, der auf den Hügel zeigte und sagte: "Das ist Zarmina".

Er wollte mein Geld nicht annehmen, weigerte sich und sagte "Es ist an der Zeit, dass Zarminas Geschichte erzählt wird." Und, sicherlich, es gib so viele Geschichten wie diese.

"Hier gab es so viele Albträume" sagt Rana, als wir in das "Herat" fuhren, Kabuls bestes Restaurant. Das Restaurant ist nicht besser als Schnellimbiss. Aber Rana war nicht bereit, hereinzukommen.

"Das ist in Ordnung. Geht rein, setzt euch hin. Bittet sie einfach, mir was zu essen ins Auto zu bringen". So ist es in Afghanistan immer noch. Die Taliban und ihre Al-Qaeda- Verbündeten mögen ausgerottet sein, aber die Frauenrechte sind kaum eine Randbemerkung auf der Tagesordnung wert.

WIR sprechen mit einer Bettlerin and er Tür des Restaurants. Sie hat drei Kinder, alle jünger als fünf Jahre. Ihr Mann ist tot.

Sie sagt mir, jetzt sollte das Leben besser werden. Sie bekommt ungefähr € 0.70 am Tag.

All das sagt sie durch ihre Burqa. Ein Paschtune drängt sich durch die Menge, beugt sich über sie und haut sie über den Kopf. "Verzieh dich, du Nutte, du Hündin", schreit er. Und die Frau stolpert mit ihren Kindern davon.

Ich frage Bashir, unseren Vermittler, warum der Mann das getan hat. War er ein Verwandter der Frau? "Nein, er ist nur so ein Taliban-Typ. Jede Frau kann geschlagen werden. Die brauchen keinen Grund dafür".

Wir haben mit Rana im Auto gegessen. Sie sagte: "Ich erinnere mich an eine andere Hinrichtung im Stadion wo ein Mann zehn Kugeln im Körper hatte. Die Familie seines Opfers haben sich dabei abgewechselt, auf ihn zu schießen.

Ich erinnere mich an eine Frau, die von den Taliban beschuldigt worden war, ein Walkie-Talkie zu besitzen. Sechzehn Taliban haben sie mit Kabeln geschlagen, bis sie Blut gepisst hat. Und die ganze Zeit lang haben sie dafür gesorgt, dass ihr Kopf und ihr Gesicht bedeckt waren, damit sie nicht von der Frau in Versuchung geführt werden könnten.

Ich sage dir, ich danke Gott für den 11. September. Nicht wegen der unschuldigen Opfer. Aber ohne diesen Tag, ohne diesen Tag würden wir immer noch wie Tiere behandelt werden.

Das war derselbe Tag, an dem Zarmina starb. Jeder wusste, dass sie es nicht verdient hatte zu sterben. Aber niemand sagte etwas. Niemand wagte etwas zu sagen".

Nun trauen sich einige zu sprechen. Rana und Zarminas Nachbarn sagen mir, die Zwillinge, nun sechs Jahre alt und ihr Bruder Harwad, 16, sind weggeschickt worden.

Ihr flüchtender Onkel wollte sie nicht. Ihre Grosmutter stieß sie weg. Sie betteln, sie suchen Müll in den Müllhalden. Aber Najeba und Shaista wurden nie wieder gesehen.

Fünf Kinder, alle verloren wegen der Verzweiflung ihrer Mutter, ihnen ein besseres Leben zu geben. "Ja" sagt Rana, "Zarminas Geschichte muss erzählt werden."

Ja, nachdem das Foto letzte Woche bei mir ankam, wurde die Geschichte erzählt. Es kann nicht die ganze Wahrheit sein, aber was wir gefunden und geprüft haben, ist nichts als die reine Wahrheit.

Die Geschichte einer Frau hinter dem Schleier der Gewalt, des Wahnsinns und furchtbare Traurigkeit. Eine Frau, die so viele Menschen haben sterben sehen. Die aber nie wussten, wie sie gelebt hatte.


http://www.mirror.co.uk/news/allnews/page.cfm

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- BRIEF: Dieser Brief, mit grünem Kugelschreiber auf einem Stück Papier aus einem Schulheft geschrieben, bestätigt die schreckliche Geschichte. Außerdem enthielt der Brief ein Foto von Zarmina.

- PLEDGE: Polizei-Inspektorin Rana Sayeed

- HOELLISCH: Zarminas Zelle im verdreckten Frauengefängnis. Hier wurde sie zwei Tage lang mit Stahlkabeln geschlagen, bis sie gestand.

- ALBTRAUM: Ein Korridor im Frauengefängnis Kabul






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