Ernst Corinth   23.08.2001


Gegen Zensur und Terror

Frauen informieren im Netz über das Taliban-Regime

Tief verschleiert hockt die Frau auf dem Boden des Stadions. Direkt hinter ihr steht ihr Henker. Sein Gewehr zielt auf das Genick seines Opfers. Kurz danach ist die Frau tot - hingerichtet wegen Mordes an ihrem Ehemann.

Anwesend waren bei der öffentlichen Hinrichtung auch die Kinder der Frau, die verzweifelt um ihre Mutter geweint haben. Und Zeuge war die Familie des ermordeten Mannes, die kurz vor der Exekution der Frau ihre Tat vergeben hat. Nach islamischen Recht ein zwingender Grund die Hinrichtung sofort abzubrechen. Doch die Taliban verweigerten dies, weil sie die Exekution bereits vor Tausenden von Menschen angekündigt hatten.

Diese Informationen und das dazugehörige Foto stammen von der Internetseite der Revolutionary Association of the Women of Afghanistan (RAWA), die seit Jahren für die Rechte der Frauen in Afghanistan kämpft. Seit der Machtübernahme durch die islamischen Fundamentalisten herrscht dort ein religiös verbrämtes Terrorsystem, das sich gegen Andersgläubige, gegen Ausländer und vor allem gegen Frauen richtet. Die Folge sind Zustände, die mittelalterlich zu nennen eine unerlaubte Verniedlichung wären.

Welche Rechte den Frauen abgesprochen werden, dokumentiert ein Text der RAWA:

 
Unter den Taliban (die heutzutage die vorherrschende politische Macht in Afghanistan darstellt) werden Frauen vollständig das Recht auf Bildung (alle Mädchenschulen wurden geschlossen), das Recht auf Arbeit (alle Frauen wurden gezwungen, in ihren Häusern zu bleiben, den Arbeitgebern wurde unter Androhung schwerer Strafen untersagt, Frauen zu beschäftigen), das Recht auf Reisen (keine Frau kann allein und ohne die vorgeschriebene Begleitung durch einen männlichen Angehörigen ihrer engsten Familie ihr Haus verlassen), das Recht auf Gesundheit (keine Frau kann einen männlichen Arzt aufsuchen, Familienplanung ist verboten, Frauen können nicht operiert werden, wenn ein Mitglied des Chirurgieteams männlich ist), das Recht auf Rechtsbeistand (eine Zeugenaussage einer Frau gilt die Hälfte der Aussage eines Mannes; eine Frau kann nicht direkt einen Antrag an das Gericht stellen, sondern nur durch einen vorgeschriebenen männlichen Familienangehörigen aus dem engsten Familienkreis), das Recht auf Erholung (alle Erholungs- und Sportmöglichkeiten für Frauen wurden verboten, Sängerinnen dürfen nicht singen, da ihre weiblichen Stimmen die Männer verderben, etc.), und das Recht auf Menschsein abgesprochen (Sie können ihre Gesichter nicht in der Öffentlichkeit vor Fremden zeigen, sie können keine farbenfrohen Kleider tragen, kein Make-up benutzen, sie können sich nicht außerhalb ihres Hauses aufhalten, ohne von Kopf bis Fuß in einen formlosen Sack, Burka genannt, eingehüllt zu sein, sie können keine Schuhe mit Geräusch verursachenden Absätzen tragen - sogar das klappernde Geräusch ihrer Schritte verdirbt die Männer - sie können nicht in privaten Fahrzeugen mit männlichen Passagieren reisen, sie haben nicht die Erlaubnis, ihre Stimme zu erheben, wenn sie in der Öffentlichkeit sprechen, sie dürfen nicht laut lachen, das dies Männer ins Verderben lockt, etc. etc.).



Damit solche Informationen überhaupt noch an die Öffentlichkeit gelangen, setzt die RAWA seit 1997 zunehmend auf das Medium Internet. Ihre Netzseiten, die im Nachbarland Pakistan erstellt werden, enthalten neben aktuellen Berichten vor allem Bilder und kurze Filme, die den Terror dokumentieren sollen. RAWA selbst wurde bereits 1977 durch die afghanische Feministin und Dichterin Meena gegründet. Während der sowjetischen Besatzung und dem Bürgerkrieg arbeitete die Gruppe im Untergrund, mit den Schwerpunkten gesundheitliche Versorgung und Erziehung. Heute unter dem Taliban-Regime wird die Mitgliedschaft in der RAWA mit dem Tod bestraft.

Dennoch setzen die etwa 2000 Mitglieder ihre Arbeit fort: In den pakistanischen Flüchtlingslagern gründeten sie Schulen und Waisenhäuser. In Afghanistan betreiben sie illegale kleine Schulen, betreuen medizinisch Mädchen und s Frauen, die nicht zum Arzt gehen dürfen. Und helfen Witwen bei der Versorgung ihrer Kinder. Um auch in Zukunft über das Taliban-Regime informieren zu können, benötigt RAWA dringend Digitalkameras und Camcorder, die sich gut unter den weiten Gewändern verstecken lassen. Und das ist dann auch wirklich der einzige Vorteil dieser von Männern angeordneten Zwangskostümierung. Weitere Infos unter: www.rawa.org

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